"Nazis raus", "Vielfalt" und andere Kampfbegriffe ersetzen die Argumente auf der linken Seite - By Marco Verch - Say no to racism. Say yes to cultural diversity. #refugeeswelcome #nazisraus #berlikte #thisiscologne #koellelive #nopegida, CC BY 2.0, Link

RPC-Lex: Eine Hit-Liste gegen „rechts­po­pu­lis­tische Verschwörungserzählungen“

(Die Dop­pel­deu­tigkeit von “hit” in der Über­schrift ist beabsichtigt)

Teil 1: Sprache und Stil einer links-ideo­lo­gi­schen Wissenschaftsmimikry

Ver­schwö­rungs­theorien und Listen sind bei linken Ideo­logen sehr beliebt. Warum ist das so? Ver­mutlich deshalb, weil sie im Rahmen der Pro­pa­ganda von auto­ri­tären Regimen wichtige Auf­gaben erfüllen:

Ver­schwö­rungs­theorien oder besser: ‑erzäh­lungen können nach Giry und Gür­pınar also die Funktion eines Pro­pa­ganda-Mittels in der Hand von Regimen erfüllen, die einen kon­stru­ierten Gegner – eine “Die-versus-wir-Erzählung” – benö­tigen, um ihre Macht zu erhalten, ihre Fehler her­un­ter­zu­spielen und ihre Kri­tiker zum Schweigen zu bringen oder zu dis­kre­di­tieren. Gleich­zeitig prä­sen­tieren sie sich als unver­zichtbar insofern nur sie den angeblich mas­senhaft vor­han­denen Ver­schwörern „da draußen“ die Stirn bieten können und jeden in ihrer Dar­stellung Recht­gläu­bigen vor den ver­meint­lichen Ver­schwörern schützen können, viel­leicht auch mit Gewalt. Einen solches Bedro­hungs­sze­nario durch einen ima­gi­nieren „Groß“-Gegner auf­zu­bauen, ist nicht einfach, und deshalb muss die Ver­schwö­rungs­er­zählung all die Men­schen, die ein Regime, das Macht um jeden Preis erringen oder behalten will, seine Kri­tiker allesamt als „Regime­feinde“ kon­stru­ieren, sozu­sagen in eine einzige Schublade hineinzwängen.

Die Schublade, in die das der­zeitige bun­des­re­pu­bli­ka­nische Regime, aber nicht nur es, sondern alle links­extremen Regime mit auto­ri­tären Nei­gungen, seine Kri­tiker hin­ein­zu­zwängen ver­sucht, trägt bekann­ter­maßen die Auf­schrift „rechts“ oder „rechts­ge­richtet“ oder – in der Folge der Abnutzung dieser Begriffe – „rechts­extrem“ und neu­er­dings „rechts­po­pu­li­sit­scher Ver­schwö­rungs­diskurs“ („right-wing populist con­spiracy dis­course“; Puschmann et al. 2022: 1). Und wer ließe sich besser für die Aufgabe der Kon­struktion eines omni­prä­senten „rechten“ Gegners, der angeblich darauf abzielt, „… to undermine poli­tical insti­tu­tions …“ (Puschmann et al. 2022: 2) instru­men­ta­li­sieren als die­je­nigen, die der Nie­dergang einst wis­sen­schaft­licher Ein­rich­tungen her­vor­ge­bracht oder in Brot und Arbeit gebracht hat?! Sie bemerken ver­mutlich nicht einmal, dass sie in den Dienst dessen gestellt werden, was links­extreme Regime als „Wis­sen­schaft“ aus­geben wollen, sei es „Marxismus/Leninismus“ oder „Gender Studies“ o.ä., d.h. eines Pro­pa­ganda-Mittels, von dem sich Ideo­logen – ange­sichts des Ver­trauens, dem sich Wissenschaft(ler) früher einmal erfreute(n) – unhin­ter­fragte Folg­samkeit des naiven Teils der Bevöl­kerung versprechen.

Und dies, obwohl sich inzwi­schen her­um­ge­sprochen hat, dass die anhal­tende Beschwörung eines „rechten“ Gegeners, der heimlich den Sys­tem­um­sturz oder sonst etwas die Macht des Regimes Bedro­hendes plant, keine nen­nens­werte Wirkung (mehr?) hat, und dass das Ver­trauen in Leute, die eine Anstellung an einer Uni­ver­sität haben, sehr weit geschwunden ist, teil­weise in Miß­trauen umge­schlagen ist! Aber pro­pa­gan­dis­tische Mittel gibt es nicht viele, deshalb können Regime, die Pro­pa­ganda der demo­kra­ti­schen Dis­kussion auf der Basis von Argu­menten und Fakten vor­ziehen, nicht wäh­le­risch sein und müssen mangels Alter­na­tiven auf längst Über­holtes zurückgreifen.

Und so sieht sich die lesende Öffent­lichkeit kon­fron­tiert mit einer neuen Liste, die Arten von Rede auf­zählt, die in ihren Autoren Asso­zia­tionen von irgendwie Rechtem und Popu­lis­ti­schem und Ver­schwö­re­ri­schem weckt:

Puschmann, Cor­nelius, Karakurt, Hevin, Amlinger, Carolin, Gess, Nicola, & Nachtwey, Oliver, 2022: RPC-Lex: A Dic­tionary to Measure German Right-wing Populist Con­spiracy Dis­course Online. Con­ver­gence 0(0): 1–28. Der Text kann unter der Rubrik “Online First” (und hof­fentlich auch zuletzt) unter der Adresse https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/13548565221109440?af=R&ai=1gvoi&mi=3ricys gelesen und her­un­ter­ge­laden werden.

Nein, das ist nicht ganz richtig: die Liste wurde auf­grund der Vor­arbeit durch die Stu­denten der Autoren in einem dies­be­züglich ein­schlä­gigen Seminar aus dem Jahr 2019 bestückt (Puschmann et al. 2022: 10). Die Stu­denten in diesem Seminar wurden aufgefordert

„… to compile word lists on the basis of theo­re­tical texts [also unter Aus­schluss empi­ri­scher For­schung!] …, indi­vidual inter­na­tional and German-lan­guage case studies … and research on (media) events occurring in the period of time our corpora cover (i.e. the ‘refugee crisis’ or the ‘Cologne New Year’s Eve, 2015/2016’)” (Puschmann et al. 2022: 10).

„… hybrid deductive-inductive design process for popu­lating the cate­gories … ” (Puschmann et al. 2022: 2)

zu bezeichnen.

Was die Liste enthält, sind diesmal jeden­falls keine Namen unlieb­samer Kri­tiker, wie die Hass-Listen, die z.B. bei Agentin.org erstellt und gepflegt wurden und auf die Namen unlieb­samer Kri­tiker gesetzt wurden (und die unter der Hand wei­ter­ge­pflegt und –ver­teilt werden, zuletzt an Paypal Europe, was belegbar ist, weil Paypal Europe dabei ein Fehler unter­laufen ist; aber dazu viel­leicht ein anderes Mal mehr).

Die Liste von Puschmann et al. enthält statt dessen eine bunte Mischung von allerlei uner­wünschter Rede, die auf Kon­strukte von höchst zwei­fel­hafter Vali­dität („Scan­da­lization“ bzw. „Skan­da­li­sierung“) bezogen wird, auf Lieb­lings­themen links­extremer Ideo­logen und Regime, nämlich „Anti-immi­gra­ti­on/­Isla­mo­phobia“ und „Anti-gen­der/Anti-feminism“ sowie – negativ gewendet – „Natio­na­lismus“, auf „Sus­picion“, d.h. auf Kritik am Regime, die als von vorn­herein negativ eben als „sus­picion“, d.h. „Ver­dacht“ oder „Ver­däch­tigung“ gerahmt wird. Die uner­wünschte Rede auf der Liste enthält außerdem „Markers of distance“, d.h. sprach­lichen Wen­dungen wie „so-called“ bzw. „so genannt“, und Anfüh­rungs­zeichen „around con­cepts that are rejected“, d.h. Anfüh­rungs­zeichen vor und nach „Kon­strukten, die man nicht mag“.

Natürlich setzt man in der Wis­sen­schaft Namen für Kon­strukte nicht deshalb in Anfüh­rungs­zeichen, weil man die Kon­strukte oder ihren Namen nicht mag, sondern zu dem Zweck, ihren Status eben als Kon­strukt, deutlich zu machen, als etwas, was kein real exis­tie­rendes Ding bezeichnet, sondern eine sprach­liche Klammer um beob­achtbare Phä­nomene, von der man meint, dass sie hilf­reich sei, quasi ein sinn­voller Teil einer Taxo­nomie. „Anti-Eli­tismus“ z.B. ist ein Namen für ein Kon­strukt, etwas, das nicht wirklich exis­tiert. Deshalb setzt man den Begriff in Anfüh­rungs­zeichen. Wird er nicht in Anfüh­rungs­zeichen gesetzt, dann kann es sein, dass dies deshalb unter­bleibt, weil ein Autor eines wis­sen­schaft­lichen Textes den Begriff in seinem Text bereits ein­ge­führt und defi­niert hat, aber in der Regel ist es ein guter Hinweis darauf, dass der Begriff lai­enhaft bzw. ideo­lo­gisch benutzt wird, weil jemand, der nichts von Wis­sen­schaft ver­steht, den Begriff einfach mag, ihn irgendwie zutreffend findet, er an das so bezeichnete Kon­strukt einfach glauben möchte.

In der Wis­sen­schaft erweisen sich viele pro­be­weise vor­ge­schlagene Kon­strukte nicht als hilf­reich, besonders dann nicht, wenn sie nicht neutral, sondern sprachlich wertend benannt sind, und wenn sie lediglich Aspekte anderer Kon­strukte „doppeln“, die besser geeignet sind, ein Phä­nomen deskriptiv und sprachlich neutral zu fassen, oder wenn sich das Kon­strukt als unfähig erweist, die beob­acht­baren Ver­hal­tens­weisen, die es unter seine „Klammer“ fassen will – „Klammer“ steht in Anfüh­rungs­zeichen, um die Metapher im Gegensatz zum realen Ding anzu­zeigen; alles klar?! –, auch tat­sächlich unter seine Klammer zu fassen. Um dies zu prüfen, haben sich Wissenschaftler/Statistiker eine Reihe von sta­tis­ti­schen Ver­fahren aus­ge­dacht, die Kenn­werte für die, wenn man so sagen will: Treff­si­cherheit des Kon­struktes, mit dem man auf die Rea­lität „schießt“ – wieder Achtung: Metapher! –, liefern.

Dies alles scheint Puschmann et al., den Auf­listern alles „Rechten“, „Popu­lis­ti­schen“ und angeblich Ver­schwö­re­ri­schen, weit­gehend oder gänzlich unbe­kannt zu sein. Das ist aber nicht das Pein­lichste mit Bezug auf das gestörte Ver­hältnis, das Puschmann et al. zu Anfüh­rungs­zeichen in Texten haben, die den Anspruch vor­bringen, fach­wis­sen­schaft­liche Texte zu sein. Das Pein­lichste ist vielmehr, dass sich Puschmann et al. dies­be­züglich klar als Opfer einer Freud’schen Pro­jektion erweisen, wie sie im übrigen häufig unter Links­extremen zu beob­achten ist: sie pro­ji­zieren ihre eigenen Prak­tiken auf die des von ihnen kon­stru­ierten Stroh­mannes, den sie mit der Auf­schrift „Gegner“ ver­sehen und an dem sie sich dann abar­beiten. Und es ist eini­ger­maßen widerlich, dabei zusehen zu müssen, z.B. dann, wenn Puschmann et al. alles in Anfüh­rungs­zeichen setzen, was sie nicht mögen oder als falsch oder ver­fehlt mar­kieren wollen, u.a. „‘refugee crisis‘“ und „‘Cologne New Year’s Eve, 2015/2016‘“ auf Seite 10 des Textes und „‘demons­tration walks‘“, „‘Great Repla­cement‘“ auf Seite 8 (und Letz­teres auch auf Seite 7) und – pikan­ter­weise auch – „‘the people‘“, eben­falls auf Seite 8 sowie auf Seite 6. Dies alles, während sich Puschmann et al., ohne es über­haupt nur zu bemerken, selbst in die „Verschwörungserzähler“-Ecke hin­ein­be­haupten, wenn sie schreiben:

„Third, an accu­mu­lation of Markers of Distance (i.e. qua­li­fi­cation through adjec­tives such as ‘so-called’, or the use of quo­tation marks around con­cepts that are rejected) is con­sidered indi­cative of con­spiracy dis­course” (Puschmann et al. 2022: 4).

So geht es einem, dessen psy­cho­lo­gische Befind­lichkeit seine intel­lek­tuelle Kapa­zität bei Weitem domi­niert. Und so kommt es, dass Puschmann et al. sich selbst als Anti-Demo­kraten iden­ti­fi­zieren. „[T]he people“, die Leute, das Volk, wie auch immer man es über­setzen mag, scheinen Puschmann et al. ein beson­derer Dorn im Auge zu sein, finden die Anfüh­rungs­zeichen um „the people“ sich doch nicht nur auf Seite 8, also sozu­sagen im Schwange der Erregung über das, was andere Leute aus den Autoren unver­ständ­lichen Gründen in Anfüh­rungs­zeichen setzen, sondern auch an zen­traler Stelle in der Liste selbst, die in Tabelle 1 auf Seite 5 des Textes steht. Wer so großen Wert darauf legt, durch Anfüh­rungs­zeichen-Setzung Distanz von „the people“ zu schaffen, der dürfte große Pro­bleme mit der Demo­kratie und denen ihr zugrun­de­lie­genden Werten haben.

Auch die „‘main­stream media‘“ setzen Puschmann et al. in Anfüh­rungs­zeichen, wobei unklar bleibt, ob sie sich dadurch selbst von den soge­nannten main­stream-Medien distan­zieren wollen – immerhin sind sie ja tat­sächlich keine Mehr­heits­medien mehr – oder ob sie sich dadurch von denen distan­zieren wollen, die von „main­stream-Medien“ sprechen. Distanz durch die Setzung von Anfüh­rungs­zeichen schaffen zu wollen, ist halt prin­zi­piell mit der Gefahr von Miß­ver­ständ­nissen ver­bunden, und in wis­sen­schaft­lichen Texten werden deshalb Anfüh­rungs­zeichen auch nicht zur Schaffung von Distanz gesetzt, sondern wie gesagt zum Zweck des Zitierens oder zur Kenn­zeichnung von Konstrukten.

Aber im Text von Puschmann et al. (2022) geht es nicht um Wis­sen­schaft, sondern darum, Ideo­logen oder Mul­ti­pli­ka­toren der Anliegen des Regimes jeder Art ein ver­mutlich ihren Fähig­keiten ange­mes­senes niedrig-schwel­liges Angebot zu machen, das ihnen helfen soll, neue Kan­di­daten für die Kon­struktion der Regime-Geg­ner­schaft zu konstruieren.

Und hier ist sie nun endlich – die Liste, die ihnen Auf­schluss darüber gibt, was Sie für eine/r sind, die Liste, geschaffen von Men­schen, die damit „Sytem Jus­ti­fi­cation“ (Marques 2021) betreiben und im Zuge dessen andere Men­schen anhand ihrer Rede als „Regime-Gegner“ [Anfüh­rungs­zeichen stehen, weil es ein Kon­strukt ist!] – kon­stru­ieren wollen; die Liste – ein Denkmal einer in bemer­kens­wertem Umfang dege­ne­rierten Diskussionskultur:

 

Wie Sie sehen können, ist die Liste unter­teilt in angeblich von „rechts­po­pu­lis­ti­schen Ver­schwö­rungs­er­zählern“ gepflegten „Stil“-Elemente, in angeb­liche Feind­bilder „rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zähler“ und in „Topoi“, sagen wir: Motive, die angeblich (nur?) in der Rede von „rechts­po­pu­lis­ti­schen Ver­schwö­rungs­er­zählern“ vor­kommen. Die Unter­scheidung ist frag­würdig, anscheinend will­kürlich getroffen worden und insofern von  keinem heu­ris­ti­schen Wert: Warum z.B. taucht „Natio­na­lismus“ als „Topoi“ bzw. Thema oder Motiv auf, während, sagen wir: „Glo­ba­lismus“ nicht unter den „Ant­ago­nists“, den „Gegnern“ auf­ge­zählt wird? Oder warum taucht „Anti­se­mitism“ als „Ant­agonist“ auf, statt z.B. eine „jüdische Welt­ver­schwörung“ in die „Topoi“ aufzunehmen?

Und was haben „Ant­ago­nists“ und „Topoi“ über­haupt in einer Liste zu suchen, die angeblich das Ergebnis eines Inter­esses an

„… com­mu­ni­cative prac­tices and lin­gu­istic forms per­tinent to con­spiracy theories“ (Puschmann et al. 2022: 4)

ist. Oder ist sie das eben doch nicht? Immerhin geben Puschmann et al. an anderer Stelle selbst eine andere Ziel­setzung an:

“Our objective was to create a resource that distin­gu­ishes dif­ferent styles, themes and ant­ago­nistic rela­ti­onships within RPC dis­course, rather than reliably determine whether a piece of content should be clas­sified as RPC or not” (Puschmann et al. 2022: 20).

Es scheint, die Autoren können oder wollen nicht angeben, was genau sie denn nun eigentlich mit ihrer Liste wollen, außer dass sie eine „Res­source“ dar­stellen soll, für wen oder zu welchem Zweck mögen oder können sie nicht angeben.

Wenn es ihnen nach eigener Aussage nicht darum geht, zu ent­scheiden, ob ein bestimmter Inhalt als „rechts­po­pu­lis­tische Ver­schwö­rungs­er­zählung“ gelten sollte oder nicht, wie und warum haben sie dann gerade die Inhalte, die sie aus­ge­wählt haben, als Inhalte „rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zäh­lungen“ aus­ge­wählt und gewertet? Weil sie darin vor­kommen, so die Autoren (s. Zitat oben)! Aha. Aber wenn sie zwar darin vor­kommen und viel­leicht gar nicht als Ele­mente „rechts­po­pu­lis­tische Ver­schwö­rungs­er­zählung“ gelten sollten, warum sollte es dann irgend­je­manden inter­es­sieren, ob „rechts­po­pu­lis­tische Ver­schwö­rungs­er­zähler“ gerade z.B. davon sprechen, dass der Super­vulkan im Yel­lostone Park aus­brechen könnte (das würde Punkt 10 in der Liste ent­sprechen, oder!?), oder davon, dass man bei Bäcker Hansen bessere Brötchen bekommt als bei Bäcker Schmidt? (Sofern keiner der Bäcker schwul, ein Trans, ein Jude oder ein Muslim ist, denn dann ließe sich die Rede über Bäckers Brötchen gemäß der Punkte 5,7 oder 8 in eine „rechts­po­pu­lis­tische Ver­schwö­rungs­er­zählung“ wenden.

Und wer weiß: Man könnte doch auch eine „Skan­da­li­sierung“ (Punkt 1) daraus machen, wenn jemand meint, er habe einmal die Brötchen von Bäcker Hansen gekauft und würde das nie wieder tun und könnte die Leute nicht ver­stehen, die ihre Brötchen bei Hansen und nicht bei Schmidt kaufen. Betont das nicht „Kon­flikt“ und zielt darauf ab, Leute dazu zu bewegen, ihre Brötchen bei Bäcker Schmidt statt bei Bäcker Hansen zu kaufen?

Dem Wahnsinn sind keine Grenzen gesetzt, so scheint es.

Wenn solche Rede über Brötchen und Bäcker aber nicht als „rechts­po­pu­lis­ti­sches Verschwörungserzählungs“-Gut gelten sollen, warum dann z.B. die Rede über die gestie­genen Zahlen von Asyl­be­werbern? Beides kann in der „rechts-popu­lis­ti­schen Ver­schwö­rungs­er­zählung“ vor­kommen. Warum sollte man in das eine eine Bedeutung hin­ein­ge­heim­nissen, in das andere nicht? Das aus­schlag­ge­bende Kri­terium hierfür ist offen­sichtlich, dass  links­extreme Ideo­logen auf den einen Punkt emp­findlich reagieren, weil sie ihn im Sinn ihrer Ideo­logie inter­pre­tieren, auf den anderen nicht, weil sie in ihrer Ideo­logie keine Ver­wendung dafür haben.

Jeden­falls finde ich es schwierig, diese all­ge­meine Ver­wirrung darüber, was nun eigentlich das genaue Interesse ist, das die Autoren mit der Liste ver­binden, auf etwas anderes zurück­zu­führen als die Tat­sache, dass die Autoren mit der Liste eben einfach ein sehr niedrig-schwel­liges Inventar des vom links­extremen Gläu­bigen Abzu­leh­nenden und zu Bekämp­fenden (immerhin ist „Ant­ago­nists“ in ihrem Voka­bular vor­handen!) in der Tra­dition z.B. der Listen von „Regime-Feinden“ in tota­li­tären Sys­temen wie z.B. in der DDR bereit­stellen wollten.

Nicht schwierig nach­zu­voll­ziehen ist dagegen, dass solche Ver­wirrung (oder Ver­heim­li­chung) hin­sichtlich der tat­säch­lichen Ziel­setzung der Lis­ten­er­stellung alle mög­lichen wei­teren Ver­wir­rungen und Wider­sprüche pro­du­ziert. So führen Puschmann et al. z.B. in der Liste unter „Topoi“ „Con­spiracy“ bzw. „Ver­schwörung“ als ein Element von „rechts­po­pu­lis­ti­schen Ver­schwö­rungs­er­zäh­lungen“, was bedeutet, dass man eine „Ver­schwörung“ bzw. eine „Ver­schwö­rungs­er­zählung“ an der Ver­schwörung erkennen kann! Solche logi­schen Tol­pat­schig­keiten sind nicht mehr lustig, wenn sie mit wis­sen­schaft­lichem Anspruch daher­kommen. In der Wis­sen­schaft ist eine Tau­to­logie eine Kar­di­nal­sünde. Und wenn man schon meint, ein Kon­strukt durch sich selbst ope­ra­tio­na­li­sieren zu können, warum stehen in der Liste dann nicht einfach die drei Ele­mente „Con­spiracy“ („Ver­schwörung“), „Right-wing“ („rechts­ge­richtet“) und „Populism“ („Popu­lismus“). Erkennt man „rechts­po­pu­lis­tische Ver­schwö­rungs­er­zäh­lungen“ nicht hin­rei­chend daran, dass sie „rechts“ und „popu­lis­tisch“ sind und eine Erzählung über eine „Ver­schwörung“ beinhalten?!

In der Wis­sen­schaft ist es natürlich nicht so einfach. In der sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen For­schung hat sich längst die Erkenntnis durch­ge­setzt, dass es unab­dingbar ist, „Emp­fäng­lichkeit für Ver­schwö­rungs­theorien“ deutlich enger zu fassen als das in der Sozi­al­psy­cho­logie und besonders in der Poli­to­logie und in der öffent­lichen Dis­kussion vorher üblich war (Sto­janov & Hal­ber­stadt 2019: 215) und außerhalb der Wis­sen­schaft immer noch getan wird, und dass ins­be­sondere unab­dingbar ist, Kritik oder Skep­ti­zismus klar von einer all­ge­meinen Bereit­schaft, Ver­schwö­rungs­theorien zu ver­trauen, zu unter­scheiden. Das ist nicht nur so, weil sich die grund­sätz­liche Frage stellt:

„Who are psy­cho­lo­gists to judge what is plau­sible or rational to believe? … the plau­si­bility of a par­ti­cular claim is also an empi­rical matter, and can be quan­tified as a claim’s accep­tance in the popu­lation. That accep­tance may well change over time as evi­dence accu­mu­lates or social atti­tudes shift, and if they do, some con­spiracy theories will no longer qualify as such, and new, perhaps con­tra­dictory con­spiracy theories will emerge. (Today, someone who denies government sur­veil­lance has a better claim to the title of ‘con­spiracy theorist’)” (Sto­janov & Hal­ber­stadt 2019: 228; Her­vor­hebung d.d.A.).

Das ist auch deshalb not­wendig, weil sich „con­spiracy theory ide­ation“ und „skep­ticism” anhand empi­ri­scher Daten als zwei unter­schied­liche Kon­strukte erwiesen haben:

„In Study 1 we explored the factor structure of the initial item pool, gene­rated by 210 MTurk par­ti­ci­pants who gave their defi­nition of a con­spiracy theory, and dis­co­vered two factors, which we termed con­spiracy theory ide­ation and skep­ticism. After maxi­mizing the infor­mation value of each dimension, we settled on an 11-item scale, which sub­se­quently showed good test–retest relia­bility, as well as con­vergent, divergent, and pre­dictive validity. In par­ti­cular, con­spiracy theory ide­ation cor­re­lated posi­tively with paranoia, para­normal beliefs, and mar­gi­nally nega­tively with trust, and, equally important, did not cor­relate with emo­tional intel­li­gence, death anxiety, extra­version, con­sciousness, or emo­tional sta­bility. Skep­ticism, mean­while, cor­re­lated with adver­ti­sement skep­ticism. Further, once the shared variance was accounted for, both dimen­sions pre­dicted dif­ferent types of con­spi­racies. Finally, in Study 4 we demons­trated con­s­truct validity in two other national con­texts. We argue that these two dimen­sions represent two sides of the con­spiracy men­tality con­s­truct (the general ten­dency to believe in any con­spiracy) – the “rational” and the “irra­tional,” which become espe­cially evident once their shared variance is con­trolled” (Sto­janov & Hal­ber­stadt 2019: 228).

Deshalb emp­fehlen die Autoren für zukünftige Forschung

„…  the use of the skep­ticism dimension as a control variable in situa­tions where rese­ar­chers wish to establish the unique rela­ti­onship between con­spiracy theory ide­ation and a con­s­truct of interest, in order to distin­guish such ide­ation from general skep­ticism that is not spe­cific to con­spiracy theory beliefs … failure to control for skep­ticism in these cases would lead to spu­rious con­clu­sions” (Sto­janov & Hal­ber­stadt 2019: 228).

Zu meinen, man könne als poli­tisch „rechts“ stehend Behaup­tetes oder „Popu­lismus“ von vorn­herein mit „Ver­schwö­rungs­er­zäh­lungen“ in Ver­bindung zu bringen, wie Puschmann et al. das geradezu pro­gram­ma­tisch tun, ist also ein Irrtum bzw. kon­zep­tionell und empi­risch unsinnig.

Darüber hinaus ist kei­neswegs klar, warum man eine „Emp­fäng­lichkeit für Ver­schwö­rungs­theorien” pau­schal negativ bewerten sollte. Aus der Phi­lo­sophie kommt die Erkenntnis, dass Ver­schwö­rungs­theorien weder „prima facie unlikely“ (Dentith 2016: 5; s. hierzu auch Hagen 2022) sind noch ins­gesamt epis­te­mo­lo­gisch pro­ble­ma­tisch sind (Hagen 2022a). Basham (2003) hat fest­ge­halten, dass sie nützlich sein können, indem sie eine kri­tische Haltung fördern – manche Leute meinen, eine kri­tische Haltung sei ein posi­tiver Wert! –, und Bjerg & Presskorn-Thygsen (2017) halten sie für einen wich­tigen Bestandteil einer funk­tio­nie­renden Demo­kratie. Keine dieser neueren und pro­gres­siven, die Dis­kussion um „Ver­schwö­rungs­theorien“ trans­for­mie­renden, Arbeiten finden Beachtung durch Puschmann et al. Ihre Defi­nition von „Verschwörungstheorie(/n“ – ja, was ist ihre Definition?

Diese Frage kann nicht beant­wortet werden, denn es gibt keinen Teil im Text, in dem die benutzten Kon­strukte klar defi­niert würden, geschweige denn die Defi­nition von der Ope­ra­tio­na­li­sierung unter­schieden würde, weder in einem metho­di­schen Teil noch in einem Theo­rieteil. Bei Puschmann et al. findet man lediglich von Butter und Knight (2020: 3–4) in ihrem Vorwort zum von ihnen her­aus­ge­ge­benen Sam­melband „Rout­ledge Handbook of Con­spiracy Theories“ (2020) abge­schriebene Gründe dafür, warum eine Defi­nition schwierig ist. Immerhin sind der dies­be­züg­lichen Aus­führung von Puschmann et al. die Namen von Butter und Knight in einer Klammer angefügt worden, aller­dings auf eine Weise, bei der sug­ge­riert wird, nur den Inhalt des letzten dies­be­züg­lichen Satzes (bzw. des dritten Grundes) hätten Puschmann et al. von Butter und Knight über­nommen. Tat­sächlich haben sie aber alle drei Gründe von Butter und Knight über­nommen, und hübsch in der­selben Rei­hen­folge. Dann folgt bei Puschmann et al. eine ekk­lek­ti­zis­tische Auf­zählung dessen, was sie für „Ele­ments of con­spiracy dis­course“ (Puschmann et al. 2022: 3) halten, wobei sie die Auf­zählung der

„… three basic cha­rac­te­ristics of most con­spiracy theories, as they have been coined by Michael Barkun …” (Puschmann et al. 2022: 3)

anscheinend und ohne weitere Dis­kussion oder Begründung akzep­tieren und als Ersatz für eine Defi­nition ansehen oder – schlimmer – die Auf­zählung dieser drei Ele­mente (oder irgend­welcher sons­tigen Ele­mente) für eine Defi­nition halten. Darauf folgt eine red­un­dante Dar­stellung (auf der­selben Seite) darüber, warum die Autoren es vor­ziehen, über „con­spiracy dis­course“ zu schreiben als über „con­spiracy theory“. Auf den Punkt gebracht: „con­spiracy theory“ wird nicht defi­niert, aber „dis­course“ ist das Wort, das Leute benutzen, die „text-as-data“ behandeln wollen, also benutzen Puschmann et al. dieses Wort: Durch die Wahl des Wortes „dis­course“ bzw. „Diskurs“

„… we stress our interest in stu­dying com­mu­ni­cative prac­tices and lin­gu­istic forms per­tinent to con­spiracy theories, …“ (Puschmann et al. 2022: 3).

Wenn das tat­sächlich das Interesse ist, dann ist es aller­dings eine schwer­wie­gende Unter­las­sungs­sünde, wenn Puschmann et al. 2022 „links­po­pu­lis­tische“ oder „links­ge­richtete Ver­schwö­rungs­theorien“ kom­plett unbe­achtet lassen, denn dann sind keine gene­ra­li­sier­baren Aus­sagen über die kom­mu­ni­ka­tiven Prak­tiken und sprach­lichen Formen, die in Ver­schwö­rungs­theorien „per­tinent“ sind, d.h. „relevant“ oder „ein­schlägig“ sind, möglich.

Dass Puschmann et al. ihre Liste als Pro­pa­ganda-Instrument ansehen und nicht als Beitrag zu irgend­einer wis­sen­schaft­lichen Dis­kussion wird an der Sorg­lo­sigkeit erkennbar, mit der sie starke Behaup­tungen for­mu­lieren, ohne sich darum zu scheren, dass man starke Behaup­tungen so stark wie möglich begründen muss. Z.B. bemerken sie lapidar, dass jemand namens Mackert geschrieben habe, dass es heute keine Bedrohung der west­lichen Demo­kratie gebe, die mit dem „rise of right-wing populism“ ver­gleichbar sei (Puschmann et al. 2022: 8) und stellen diese starke Behauptung aus irgend­welchen Gründen, die sich mir nicht erschließen, ohne jede weitere Dis­kussion, ohne jeden empi­ri­schen Beleg, einer Dar­stellung der “Con­s­truction”, der “Kon­struktion” ihrer Liste voran. Wäre die Liste als ein wis­sen­schaft­licher Beitrag zur Klärung des Kon­struktes „Ver­schwö­rungs­theorie“ (in sprach­licher oder sonst irgend­einer Hin­sicht) gedacht, dann wäre es voll­kommen egal, was Mackert oder Puschmann et al. oder sonst jemand heute oder früher oder in Zukunft für eine große oder kleine oder gar keine Bedrohung für die west­liche Demo­kratie hält, gehalten hat oder halten wird.

Übrigens wimmelt es im Text von Puschmann et al. nur so von voll­mun­digen Behaup­tungen und Über­ge­ne­ra­li­sie­rungen, die ohne irgendeine Form des Belegs – jen­seits des Belegs, dass das schon mal jemand anderes behauptet hat – bleiben. So heißt es gleich im ersten Satz des Textes

Con­spiracy theories are fre­quently deployed by fringe poli­tical actors that aim to undermine poli­tical insti­tu­tions and boost their own claims to legi­timacy“ (Puschmann et al. 2022: 2).

So, jetzt wissen Sie’s. Oder vielmehr: jetzt wissen Sie, was die Autoren meinen oder viel­leicht sogar zu wissen meinen. Leider geben die Autoren aber kei­nerlei Hinweis darauf, woher sie all dies zu wissen glauben: wie oft Ver­schwö­rungs­theorien mit dem Motiv der „Unter­mi­nierung poli­ti­scher Insti­tu­tionen“ von welchen „poli­ti­schen Akteuren“, dar­unter von „rand­stän­digen“ Akteuren („fringe“) auf­ge­stellt werden; sie können an dieser Stelle nicht einmal einen Autoren­namen angeben, d.h. auf irgend jemanden ver­weisen, der solch Voll­mun­diges auch schon behauptet hätte, geschweige denn auf empi­rische Daten.

An ver­schie­denen Stellen bemühen Puschmann et al. „Kern­ele­mente“ oder „Kern­ka­te­gorien“, womit sie so tun, als handle es sich bei ihrer Sammlung von dem, was sie für Ele­mente „rechts­po­pu­li­si­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zählung“ halten (oder viel­leicht auch nicht; sie kommen halt in diesen Erzählugnen vor, oder auch nicht), um ein anhand sta­tis­ti­scher Ver­fahren eta­bliertes Kon­strukt, für das benannt werden könne, was „Kern-“ und was „Rand“-elemente oder –kate­gorien sind, z.B. im Satz:

„… we focus on certain core cate­gories (pre­sented throughout the paper in small caps) that …” (Puschmann et al. 2022: 4).

Die Kate­go­rien­namen, die in “small caps” abge­druckt sind, sind die­je­nigen, die sich Puschmann et al. und ihre Stu­denten im Seminar aus­ge­dacht haben. Ob sie über­haupt Ele­mente eines sta­tis­tisch sinnvoll ent­wor­fenen Kon­struktes sind, bleibt voll­kommen unge­prüft, geschweige denn, dass eine Prüfung darüber vorläge, ob diese Ele­mente „Kern“-Elemente von irgend­etwas sind.

Es macht ohnehin keinen Sinn, sie „Kern“-Elemente zu nennen, weil das Kon­strukt des „rechts­po­pu­lis­ti­schen Ver­schwö­rungs­er­zählers“ aus just den Kate­gorien „in small caps“ besteht  und aus sonst nichts. Wenn diese Kate­gorien die „Kern“-Kategorien des Kon­struktes bezeichnen sollen, dann besteht das gesamte Kon­strukt aus­schließlich aus „Kern“-Kategorien. Wie ist das möglich? Es ist nicht möglich. Es ist blü­hender Unsinn, denn einen Kern kann es nur geben, wenn es etwas gibt, was ihm umgibt!

Unbe­legte Behaup­tungen werden von Puschmann et al. ihren Lesern auch in Form von Ein­schüben, gepaart mit den in diesem Text noto­ri­schen unbe­legten Behaup­tungen, unter­ge­schoben, wie z.B. in

„… in order to emphasize the com­mu­ni­cative nature of con­spiracy theories, the fact [!] that, online in par­ti­cular, con­spi­ra­tional ideas are to to be spread and deve­loped, …” (Puschmann et al. 2022: 2; Her­vor­hebung d.d.A.).

Der behauptet “Fakt” kann fak­tisch anscheinend nicht belegt werden; jeden­falls bringen die Autoren kei­nerlei Beleg vor oder weisen auch nur durch Zitation auf jemanden hin, der viel­leicht einen Beleg hierfür geliefert hätte.

Das­selbe gilt für

„Closely linked to this anti-elitist dimension … are several cate­gories” (Puschmann et al. 2022: 4; Her­vor­hebung d.d.A.).

Die Autoren zählen dann diese Kate­gorien auf und geben ihnen Autoren­namen bei, die über die Dinge, die für Puschmann et al. Kate­gorien abgeben, aber den Nachweis der Behauptung einer „engen Ver­bindung“ („closely linked“) zwi­schen Kate­gorien, die hier wieder in Nach­äffung der Sprache, die Wis­sen­schaftler mit Bezug auf sta­tis­tisch meßbare mehr­di­men­sionale Meß­skalen benutzen, zu „Dimen­sionen“ mutiert sind, führen die Autoren nicht.

Der gesamte Text ist eine einzige Anein­an­der­reihung von Behaup­tungen, und zwar  bes­ten­falls solcher, die jemand anders auch schon einmal vor­ge­bracht hat, mehr nicht.

Aber zurück zu den feh­lenden Defi­ni­tionen im Text von Puschmann et al.:

Wenn es schon keine Defi­nition von „Ver­schwö­rungs­diskurs“ – von „rechts“ und „popu­lis­tisch“ ganz zu schweigen – gibt, sind dann die Kate­gorien in der oben abge­bil­deten Tabelle 1 wenigstens irgendwie intuitiv plau­sibel als Ope­ra­tio­na­li­sie­rungen für „rechts­po­pu­lis­ti­schen Vers­chö­rungs­diskurs“? Nehmen wir pro­be­weise etwas vor, was man frei nach den Autoren „Vali­dierung“ nennen könnte. Bar jeden Ver­ständ­nisses des Begriffs „Vali­dierung“ wollen Puschmann et al. ihre Auf­zählung in Tabelle 1 dadurch „vali­dieren“, dass sie betrachten, ob sie das, was sie auf­zählen und für Ele­mente eines „rechts­po­pu­lis­ti­schen Ver­schwö­rungs­dis­kurses“ erklären, in Texten oder dem Aus­tausch von Bot­schaften in Medien wie­der­finden, die den Autoren „rechts­po­pu­lis­tisch“ und ver­mutlich auch „ver­schwö­re­risch“ vor­kommen, nämlich in einem

„… full text corpus of news items from nine alter­native news outlets dis­cussed in the research lite­rature on alter­native news and con­spiracy theories“ (Puschmann et al. 2022: 15),

wobei die Autoren voll­ständig darauf ver­zichten, in einer Klammer anzu­fügen, welche Lite­ratur sie hier zugrun­de­gelegt haben. Sie ergänzen lediglich:

„Our under­standing of alter­native news outlets is based on the typology of Holt et al. … who describe online news sources that exhibit a poli­ti­cally radical edi­torial policy [???] and fre­quently cir­cumvent jour­na­listic norms [???]” (Puschmann et al. 2022: 15).

Holt et al. behaupten also irgend­etwas über „poli­tisch radikale Her­aus­ge­ber­praxis“, was immer das auch sein mag, und behaupten, dass sie wissen, welches alter­native Medium wie häufig „jour­na­lis­tische Normen“, was auch immer diese sein mögen, umgeht, und Puschmann et al. scheinen das für eine hin­rei­chende Grundlage zu halten, auf die sie ihr Urteil – oder viemmehr: nicht Urteil – über „rechts­po­lu­lis­tische Verschwörungs-“nähe gründen. Das ist m.E. eine bemer­kens­werte Umgehung sowohl jour­na­lis­ti­scher als auch wis­sen­schaft­licher Normen. Das Ganze gleicht dem Spielchen, das man als „Fla­schenpost“ bezeichnet; Einer wispert einem Anderen etwas zu, der erzählt weiter, was er gehört hat oder meint, ver­standen zu haben, und der es einem Dritten erzählt, und irgendwann ist die Kette so lang, dass das, was der vorerst Letzte in der Reihe an Noch-erin­nertem und wahr­scheinlich Miss­ver­stan­denen von sich gibt, von Leuten, die „Fla­schenpost“ mit Wis­sen­schaft ver­wechseln, als Stand der For­schung prä­sen­tiert wird.

Machen wir also unsere eigene – aus­zugs­weise – Schnell-„Validierung“ des „ganzen Text-Corpus“, wie der uns in Tabelle 1 entgegentritt:

Haben Sie schon einmal gedacht, dass Kon­struk­tionen von „Gender“ negative Folgen für die Erziehung von Kindern haben könnten? Finden Sie solche Kon­struk­tionen nicht „pro­gressiv“, sondern regressiv? Falls ja: Sie sind ein „rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zähler“ – bis auf Wei­teres nur in Gedanken, aber bestimmt werden Sie dem­nächst auch einer der Tat, wenn Sie sich erdreisten, Ihren Gedanken hörbar zu for­mu­lieren! (Punkt 8)

Kommt es Ihnen ange­sichts der Werbung im Fern­sehen, die Ihnen gerade prä­sen­tiert wird, manchmal so vor, als wären Sie ver­se­hentlich in einen Fen­seh­sender geraten, der in Nigeria pro­du­ziert wird und behei­matet ist und für ein nige­ria­ni­sches Publikum bestimmt ist? Ja? Dann bringen Sie gleich meh­fache Vor­aus­set­zungen dafür mit, ein „rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zähler“ zu sein – und Sie werden einer, wenn Sie meinen, Sie dürften sich verbal über die Werbung wundern –, denn dass Sie sich wundern bzw. Ihrer Ver­wun­derung Aus­druck ver­leihen, könnte man mit etwas ideo­lo­gi­scher Hingabe unter die Punkte 2, 7 und 9 packen. Wow, Sie sind starker „rechts­po­pu­lis­ti­scher Verschwörungs“-Tobak!

Haben Sie schon einmal bemerkt, dass in den main­stream-Medien Fal­sches behauptet wurde oder rele­vante Sach­ver­halte, der Kontext auf ein­schlägige Weise weg­ge­lassen wurde? Haben Sie am Ende bemerkt, dass das regel­mäßig der Fall ist, weshalb Sie das Kon­strukt „Lügen­presse“ in den Mund genommen haben? Nun, das ist ein Kon­strukt, dass Puschmann et al. nicht mögen und vor allem: das Ihren Mangel an unhin­ter­fragtem Glauben an die Unfehl­barkeit der main­stream-Medien erweist, sind doch die Wege der main­stream-Medien uner­gründlich. Also sind Sie ein „rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zähler“ (gemäß Punkt 6).

Sie halten es für möglich, dass die Pharma-Industrie vor allem eines erzielen möchte, nämlich Gewinne, und Teile der Pharma-Industrie zu diesem Zweck über die phy­sische Inte­grität von Men­schen (und Tieren sowieso!) hin­weg­gehen? Oder dass es Ärzte gibt, die ihren hip­po­kra­ti­schen Eid ver­gessen, wenn sie z.B. an einer Impf­kam­pagne finan­ziell beteiligt werden? Ver­trauen Sie sich „nai­ver­weise“ (s. Tabelle!), nicht vor­be­haltlos der kon­ven­tio­nellen Medizin an? Halten Sie es für möglich, dass es Phä­nomene gibt, die die Gesundheit und das Wohl­ergehen von Men­schen betreffen, sich aber außerhalb der kon­ven­zio­nellen Medizin bewegen? Dann sind Sie gemäß Punkt 13 – und wieder gemäß des unver­meid­lichen Punktes 6 – ein „rechts­po­pu­lis­ti­scher Verschwörungserzähler“!

Sie glauben, dass die Erde auf­grund men­schen­ge­machten Kli­ma­wandels in einer Apo­ka­lypse aus Feuer ver­gehen wird und mit ihr die gesamte Menschheit? Dann sind Sie gemäß Punkt 10 ein „rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zähler“, der ….

Halt!

Nein.

Hier stimmt etwas nicht. Das ist Stoff aus dem links­extremen Kate­chismus, oder? Ist Puschmann et al. hier ein Fehler unter­laufen? Haben sie etwa auch eine Liste der „links­po­pu­lis­ti­schen Veschwö­rungs­er­zäh­lungen“ in Vor­be­reitung, und der Punkt ist ihnen in die falsche Liste geraten? Immerhin ist es ja so mit Listen: oft genug findet sich Fal­sches, finden sich die Fal­schen, auf ideo­lo­gi­schen Kriegs­listen – falls es über­haupt möglich ist, dass sich Richtige/s auf solchen Listen ob ihrer pri­mi­tiven Radi­kal­re­duktion kom­plexer Themen auf angeblich allein Rich­tiges oder allein Ver­werf­liches, finden/findet. Eine Liste wie die von Puschmann et al. auf­zu­stellen und gleich­zeitig in der Liste selbst als ein Stil­merkmal “rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zäh­lungen” die “Pole­mi­sierung kom­plexer Themen” zu nennen, kann schwerlich anders betrachtet werden als unglaublich dreist oder unglaublich dumm.

Aber zurück zu Ihnen, Sie “rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zähler”! Sie meinen, dass Sie viel­leicht nur eines oder zwei der genannten „Ver­gehen“ bezichtigt werden können, also quasi nur ein ganz klein bisschen von einem “rechts­po­pu­lis­ti­schen Ver­schwö­rungs­er­zähler” sind? Machen Sie sich keine Hoff­nungen! Die Liste stellt ja keine Meß-Skala dar, auf der man eine höhere oder nied­rigere Aus­prägung haben könnte; die Liste ist eine Zusam­men­stellung von aus links­extremer Per­spektive for­mu­lierten „thought crimes“, von Gedan­ken­ver­brechen, die als „rechts­po­pu­lis­tisch ver­schwö­rungs­er­zählend“ gelabelt werden, in der Hoffnung, die dümm­liche Pro­pa­ganda könnte auf diese Weise irgendwie an eine sozi­al­wis­sen­schaft­liche For­schungs­tra­dition ange­bunden werden, was auf Szi­en­tismus und Auto­ri­täts­gläu­bigkeit unter Links­extremen ver­weist.  Die Liste ist also ein Pro­pa­ganda-Mittel im eingang im Zitat von Giri und Gür­pınar beschrie­benen Sinn. Wenn Sie eines der Gedan­ken­ver­brechen begehen, die auf der Liste stehen, dann sind Sie “so einer”, und das schlägt dann auf ihren sozialen Kredit durch, sofern Deutschland dem­nächst die Gaben des wun­der­baren chi­ne­si­schen Kom­mu­nismus noch mehr als bisher über­nimmt, zum Mus­ter­schüler wird.

Dies wirft ein deut­liches Licht auf die Geister, die sich an Listen wie diesen abar­beiten.  Aber Unsinns-Listen wie diese, die “Kern­ele­mente” “rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zäh­lungen” anein­an­der­reihen wollen, werden, schwerlich Ein­druck bei Leuten machen, die sich nicht darum scheren, wie jemand, der sich als „Sys­tem­recht­fer­tiger“ (in Ent­spre­chung zur „system jus­ti­fi­cation“; s. oben) ver­dingt, ihre Wahr­neh­mungen, Ein­drücke, Auf­fas­sungen oder Inter­pre­ta­tionen zu bezeichnen beliebt.

Und warum sollten sie das auch tun? In Anlehnung an Sto­janov und Hal­ber­stadt (2019: 228) kann man nämlich fragen:

Wer sind Puschmann et al., dass sie meinen, ent­scheiden zu können, was jemand plau­sibler- oder ver­nünf­ti­ger­weise glauben kann oder sollte?

Aber wenn man diese Frage stellt – Sto­janov, Hal­ber­stadt, Sie oder ich –, dann wird man gemäß der Liste von Puschmann et al. als ein „Anti-Elitist“ gelabelt bzw. als ein  „rechts­po­pu­lis­ti­scher Ver­schwö­rungs­er­zähler“. Es gibt kein Ent­kommen, für nie­mandem, außer dem strammen Links­extremen. Kein Wunder, dass es Puschmann et al. so vor­kommt, als wäre der von ihnen kon­stru­ierte Gegner, der „rechts­po­pu­lis­tische Ver­schwö­rungs­er­zähler“ immer überall!

Das alles ist sehr traurig. Im zweiten Teil unserer Beschäf­tigung mit Puschmann et al.’s Werk wollen wir aber etwas Spaß haben und kon­struktiv sein und die Autoren dadurch ehren, dass wir (in Anlehnung an ihre Methode) in der Sci­ence­files-Redaktion eine Durch­sicht von „Lite­ratur“ vor­nehmen werden, um „basierend auf einer theo­re­ti­schen Grundlage wie oben illus­triert“ (Puschmann et al. 2022: 10; Über­setzung d.d.A.), was immer das auch bedeuten mag, Wort­listen zusam­men­zu­stellen, die als „Indi­ka­toren für theo­re­tische Kon­zepte ver­standen werden können, die sie messen sollen“ (Puschmann et al. 2022: 10, Über­setzung d.d.A.). Kling gut, was!?

Und was sie messen sollen, wird das Kon­strukt des „links­po­pu­lis­ti­schen Ver­schwö­rungs­dis­kurses“ sein. Wir werden die Ele­mente dieses Kon­struktes in Form einer hand­lichen Liste gemäß dem Vorbild, das Puschmann et al. abgeben, zusam­men­stellen, äh, nein, auf „hybride“ Weise „deduktiv-induktiv“ oder so gewinnen und am „vollen Text­korpus“ „vali­dieren“, mit dem uns Puschmann et al. (2022) mit ihrem Text ver­sorgt haben. Auf diese Weise liefern wir die LPC-Lex, auf die zu liefern Puschmann et al. bedau­er­liche gänzlich ver­zichtet haben.

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Lite­ratur

Basham, Lee,  2003: Mal­evolent Global Con­spi­racies. Journal of Social Phi­lo­sophy 34(1): 91–103.

Bjerg, Ole, & Presskorn-Thy­gesen, Thomas, 2017: Con­spiracy Theory: Truth Claim or Lan­guage Game? Theory, Culture & Society 34(1): 137–159.

Dentith, Matthew R. X., 2016: When Inferring to a Con­spiracy Might Be the Best Expla­n­antion. Social Epis­te­mology 3(5–6): 572–591.

Giry, Julien & Gür­pınar, Doğan, 2020: Func­tions and Uses of Con­spiracy Theories in Aut­ho­ri­tarian Regimes, S. 317–329 in: Rout­ledge Handbook of Con­spiracy Theories in Aut­ho­ri­tarian Regimes, S. 317–329 in: Butter, Michael, & Knight, Peter (Hrsg.): Rout­ledge Handbook of Con­spiracy Theories. London: Rout­ledge. Dieser Artikel ist auch les- und her­un­ter­ladbar unter der Adresse https://www.semanticscholar.org/paper/Functions-and-Uses-of-Conspiracy-Theories-in-Giry‑G%C3%BCrp%C4%B1nar/d38af45455d36fa4081099f9a22f928d102365ac

Hagen, Kurtis, 2022: Are ‘Con­spiracy Theories’ So Unlikely to Be True? A Cri­tique of Quassim Cassam’s Concept of ‘Con­spiracy Theories’. Social Epis­te­mology 36(3): 329–343.

Hagen, Kurtis, 2022a: Is Con­spiracy Theo­rizing Really Epis­te­mo­lo­gi­cally Pro­ble­matic? Episteme 19(2): 197–219.

Marques, André, 2021: The Role of System Jus­ti­fi­cation and Leader Legi­timacy in Explaining Group Reac­tions Towards Con­tro­versial Lea­dership. Doctor of Phi­lo­sophy (PhD) thesis, Uni­versity of Kent. doi:10.22024/UniKent/01.02.87030

Puschmann, Cor­nelius, Karakurt, Hevin, Amlinger, Carolin, Gess, Nicola, & Nachtwey, Oliver, 2022: RPC-Lex: A Dic­tionary to Measure German Right-wing Populist Con­spiracy Dis­course Online. Con­ver­gence 0(0): 1–28. Der Text kann unter der Rubrik “Online First” (und hof­fentlich auch zuletzt) unter der Adresse https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/13548565221109440?af=R&ai=1gvoi&mi=3ricys gelesen und her­un­ter­ge­laden werden.

Sto­janov, Ana, & Hal­ber­stadt, Jamin, 2019: The Con­spiracy Men­tality Scale. Distin­gu­ishing Between Irra­tional and Rational Sus­picion. Social Psy­chology 50(4): 215–232.


Quelle: sciencefiles.org